Unsere Eltern gehörten leider zu denjenigen, die zu früh gehen mussten und dabei einen langsamen Tod fanden. Papa hatte explizit darum gebeten, zu Mama gehen zu dürfen. Es war nur noch eine Zumutung für ihn. Er hat quasi nur noch auf seinen letzten Atemzug gewartet. Am 1. Januar 2021 verstarb er im Hospiz. Der größte Respekt gilt unseren Pflegekräften, die in unserem kaputt gesparten, kranken System bei minimalem Hungerlohn und maximaler Belastung, oftmals mit einem Bein im Knast stehend, dennoch jeden Tag zur Arbeit gehen, wobei sie gar nicht in der Lage sind, jedem Patienten gerecht werden zu können. Deshalb und weil wir ihn nicht allein lassen wollten, saßen wir abwechselnd Tag und Nacht bei ihm, bis er seine Augen für immer schloss.
Bereits zwei Mal in seinem Leben hatte unser Papa den Krebs besiegt. Beim dritten Mal hat er einfach keine Kraft mehr gehabt. Erst ein paar Jahre zuvor hatten wir alle mit Mamas Rezidiv gekämpft und verloren. Mit seiner Ehefrau war auch für Papa jeglicher Kampfgeist gestorben. Zuletzt war er kaum mehr ansprechbar. Aufgrund der Metastasen in seinem Körper hat er zum Schluss noch nicht einmal mehr seine Arme bewegen, geschweige denn den Notrufknopf drücken können. Solange er noch sprechen konnte, hat er wiederholt gesagt, dass er nicht mehr leben wolle. Er hat Mama in ihren letzten Tagen begleitet und ahnte daher, was ihm bevorstand.
Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang 2020 ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gekippt, da es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletze. Grundsätzlich hat demnach jeder Mensch die Freiheit, sich das Leben zu nehmen und hierfür auch Hilfe durch Dritte in Anspruch zu nehmen!
Theoretisch wäre eine professionelle Sterbehilfe also bereits möglich, aber praktisch noch nicht umsetzbar. Das Verbot der ärztlichen Sterbehilfe wurde zwischenzeitlich am 5. Mai 2021 aufgehoben. Schwerkranke haben eigentlich bereits seit 2017 Anspruch auf ein Medikament, welches ihr Leiden und Leben beendet, aber ihre Anträge werden nicht bearbeitet. Also bleibt nur die Möglichkeit einer passiven Sterbehilfe durch Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen und indirekten Sterbehilfe durch Schmerzmedikation. Wenn ein Patient schon so abgeschossen werden darf, dass er nichts mehr mitbekommt – wieso darf man ihn dann nicht erlösen?
"Selbstbestimmtes Sterben ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht."
Isabel und Corinna Krücker
Jeder kann von heute auf morgen krank werden und in die Situation kommen. Dann sollte man wissen, dass man diese Möglichkeit hat, statt zuerst noch an einer verpflichtenden Beratung zu der Verabreichung eines letalen Medikaments teilnehmen zu müssen, die mindestens 10 Tage und höchstens 8 Wochen vorher erfolgen soll, wie es im ersten Gesetzesentwurf geschrieben steht. Ein Zeitrahmen, der unseren Eltern nicht geholfen hätte. Ganz zu schweigen davon, dass Selbstbestimmung und Rechtfertigung nicht miteinander vereinbar sind. Diese Maßnahme ist ein Schlag ins Gesicht für viele Betroffene und ein Zeichen dafür, dass erneut völlig unzureichende realitätsferne Maßnahmen besprochen werden.
Die Würde des Menschen ist unantastbar! Ein Leben darf nicht um jeden Preis gelebt werden müssen, wenn der Mensch selbst das gar nicht mehr kann oder will. Menschen dürfen nicht weiter gegen ihren Willen gequält werden, weil überholte Gesetze einen würdigen Abschied verhindern. Jeder Mensch hängt am Leben und viele klammern sich an den letzten verbleibenden Strohhalm. Es ist doch nicht so, dass bei einem Rechtsanspruch auf professionelle Sterbehilfe gleich das große Massensterben beginnt. Aber allein die Option dazu nimmt eine große Last. Tieren erspart man einen qualvollen Tod durch Einschläfern ohne irgendwelche Diskussionen. Aber den Menschen nicht?
Unser Papa ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Wer darf Menschen mit einer solchen Hintergrundgeschichte ihren Wunsch auf selbstbestimmtes Sterben verwehren? Jeder Politiker sollte ein Praktikum im Hospiz oder Krankenhaus absolvieren, um nur annähernd zu verstehen, was die Betroffenen und ihre Angehörigen durchmachen. Offensichtlich fehlt einigen hier das entsprechende Einfühlungsvermögen.
Wir haben die Petition gestartet, weil es keinem zusteht, darüber zu urteilen, wann ein Mensch sein Leben nicht mehr als lebenswert empfinden darf. Selbstbestimmtes Sterben ist ein Grundrecht und kein Privileg, worüber ein anderer entscheiden kann. Es sollte selbstverständlich sein, dass das individuelle Selbstbestimmungsrecht am Lebensende respektiert wird.
Die derzeit unübersichtliche rechtliche Situation bei der Sterbehilfe führt zu Verwirrung und Unsicherheit. Dabei ist das Thema ohnehin schon schwierig genug.
Wir haben in unserem Petitionstext das Wort „aktiv“ durch „professionell“ ersetzt. Der Grund hierfür war nicht, dass wir aktive Sterbehilfe nun doch ablehnen, jedoch sollte sie ausschließlich im absoluten Härtefall Anwendung finden. Behält der Sterbewillige die Tatherrschaft bspw. nach dem Schweizer Vorbild, handelt es sich um (ärztlich) assistierten Suizid. Die sprachlichen Feinheiten in der Abgrenzung waren auch uns vorher so nicht bekannt. Es ging uns lediglich um die Formulierung und nicht um eine inhaltliche Änderung.
Wir fordern weiterhin eine neue gesetzliche Regelung für die professionelle Sterbehilfe, die das individuelle Selbstbestimmungsrecht am Lebensende garantiert. Wenn wir schon damals nicht gefragt wurden, ob wir leben wollen, so sollte man doch zumindest über das eigene Lebensende bestimmen dürfen, wenn triftige Gründe dafür eingetreten sind.
Die meisten Menschen haben keine Angst vor dem Tod, sondern vor dem Sterben. Sie wollen gar nicht so schnell wie möglich gehen, sondern so lange wie möglich menschenwürdig leben. Für viele wäre es daher sehr beruhigend nur zu wissen, dass es einen Notausgang gibt. Die Gewissheit, das Lebensende selbstbestimmt in professioneller Sterbebegleitung einleiten zu können, gibt Sicherheit und führt zu mehr Lebensqualität.
"Jeder Politiker sollte ein Praktikum im Hospiz absolvieren. […] Offensichtlich fehlt einigen hier das entsprechende Einfühlungsvermögen."
Isabel und Corinna Krücker
Voraussetzungen einer professionellen Sterbebegleitung aus unserer Sicht:
- Der Sterbewunsch ist selbstbestimmt, wohlerwogen und freiverantwortlich.
- Die Urteilsfähigkeit wird in einem ergebnisoffenen Aufklärungsgespräch durch einen Arzt bestätigt. Ist die Entscheidungsfähigkeit nachweislich eingeschränkt, wird eine fachpsychiatrische Begutachtung durchgeführt.
- Der Sterbewunsch besteht dauerhaft. Nach dem Gespräch sollte eine Wartezeit von mindestens 24 Stunden liegen. Bei schwerkranken Menschen mit einer Sterbeverfügung kann ggf. auch ein aktuelles Diagnoseschreiben vom behandelnden Arzt ausreichen. Eine längere Karenzzeit ist ausschließlich bei psychisch Kranken oder bei begründetem Verdacht einer Affekthandlung zumutbar.
- Minderjährige brauchen eine Zustimmung der Eltern oder gesetzlichen Vertreter. Bei geschäftsunfähigen Personen (bspw. Demenz) muss der Sterbewunsch zuvor in einer Sterbeverfügung festgelegt sein.
- Die sterbewillige Person behält die Tatherrschaft. Aktive Sterbehilfe ist ausschließlich bei Unmöglichkeit zulässig, sofern die anderen Punkte erfüllt sind.
- Das Sterbemittel untersteht der Rezeptpflicht und wird ggf. erst am Sterbetag durch die Sterbebegleitung überbracht.
- Wenn die Punkte erfüllt sind, ist eine professionelle Sterbebegleitung durch einen Arzt oder einen Mitarbeiter einer Sterbehilfeorganisation zulässig. Diese Hilfe ist freiwillig. Wird sie abgelehnt, muss jedoch zumindest eine entsprechende Stelle vermittelt werden.
Weitere notwendige Bedingungen aus unserer Sicht:
- Einbringung von zulässigen Sterbeverfügungen
- Anpassung der Berufsordnungen der Landesärztekammer
- Änderungen im Betäubungsmittelrecht
- Schaffung staatlich anerkannter Beratungsstellen für Sterbehilfe und Handlungsalternativen
- Sämtliche Kosten werden von der Krankenkasse übernommen
Hier gehts zu unserer Petition ↠
Sterben geht jeden etwas an, denn wir alle müssen irgendwann diese Welt verlassen – manche früher, andere später. Man sollte sich früh genug dessen bewusst sein und damit befassen, solange man noch kann. Sichert euch ab, um euretwillen!
Man kann sein Leben bis zum Sterben nur dann genießen, wenn man weiß, dass auch das Ende selbstbestimmt sein kann. Es ist längst überfällig, die Entscheidung dem zu überlassen, der betroffen ist. Der Tod ist unausweichlich und wie jeder sein Leben gestalten darf, so sollte man auch sein Ableben im Einklang mit sich selbst bestimmen dürfen.
"Menschen dürfen nicht weiter gegen ihren Willen gequält werden, weil überholte Gesetze einen würdigen Abschied verhindern."
Isabel und Corinna Krücker