Wie bereitest du dich auf die immer wiederkehrende Konfrontation mit dem Tod vor? Letztlich bist du ja oft „der Bariton, der immer stirbt“. 

"Der Tod ist ein gegenwärtiger Freund, den man noch nicht angeschaut hat."

Jan Ammann
Die meisten Erwachsenen haben in ihrem Leben noch nie einen Toten gesehen. Hast du schon mal einen toten Menschen gesehen?

"Fast alle Menschen haben ein Problem mit dem Loslassen. Das können wir nicht."

Jan Ammann
Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?  
Hast du Dir schon überlegt, wie du bestattet werden möchtest?  

"Der Tod ist nicht romantisch. Er ist einfach da."

Jan Ammann
Existieren wir in der realen Welt auch nach unserem Ableben noch weiter?  
Möchtest Du auf der Bühne auch Aufklärung gegen die Tabuisierung des Todes betreiben?  

"Graf von Krolock bedient sich an der Etikette des Menschen, damit er selber das Gefühl hat, wieder etwas Menschliches an sich zu haben."

Jan Ammann
Du spielst ja gerne Rollen mit Tiefgang. Ist das zum dem oberflächlichen Showbusiness nicht ein extremer Gegensatz?
Graf von Krolock in Tanz der Vampire hat es Dir besonders angetan. Du verkörperst diese Figur so oft wie sonst keine Rolle. Was fasziniert Dich besonders an Ihm?

Jan Ammann (*1975 in Billerbeck) ist Musicaldarsteller. In Produktionen wie Jekyll & HydeRebeccaTarzan oder Dr. Schiwago verkörperte er die Hauptrolle, als der „Bariton, der immer stirbt“. Dafür wurde er u.a. mit zahlreichen Preisen als bester Darsteller ausgezeichnet . Nicht zuletzt durch seine immer wiederkehrenden Auftritte als Graf von Krolock in Tanz der Vampire hat er sich nicht nur in der Musicalwelt einen Namen gemacht. Zurzeit ist er mit unterschiedlichen Formaten wie The Greatest Show oder A Musical Love Story auf Tour.

Morgens, mittags und abends – Mahlzeiten strukturieren unseren Alltag. Als Belohnung oder Genussmittel, als Ausdruck von Identität und Kultur, vor allem bei Feierlichkeiten und Banketts. Vielleicht messen wir dem Essen auch eine zu hohe Bedeutung bei und fühlen uns deshalb so hilflos, wenn Menschen mit einer tödlichen Krankheit die Nahrung verweigern. „Bevor es überhaupt zu diesem Thema kommt, sollte man sich schon vorher damit beschäftigen“, so Christel Ludewig von der diakonischen Fort- und Weiterbildungsakademie (DFA). Denn nach wie vor wird Gesundheit mit Essen gleichgesetzt.

Es gibt viele Gründe, aus denen Menschen am Lebensende Essen und Trinken verweigern. Schmerzen, Magen-Darm-Probleme, Atemprobleme oder psychische Faktoren können eine Rolle spielen. In erster Linie gilt es herauszufinden, wie man den Appetit wieder steigern könnte. Bitterstoffe und verdauungsfördernde Gewürze können unterstützen. „Manchmal kann es schon helfen auf die individuellen Lieblingsspeisen oder -getränke einzugehen und eine Essbiografie zu erstellen“, sagt Ludewig.

Individuell abgestimmt, die wichtigsten Rituale an Wochen- oder Feiertagen im Essensplan zu berücksichtigen. Kleine, überschaubare Portionen sind wichtig, um die Sinne anzusprechen und keinen Ekel auszulösen. „Vor allem Demenzkranke bevorzugen süße Speisen“, so die Pflegeexpertin. Auch herzhafte Gerichte mit Zucker zu vermischen, trifft meist genau den Geschmack der demenzerkrankten Person.

„Durst ist schlimmer als Heimweh“

Der Mundbereich ist sehr sensibel und gehört zu den empfindlichsten Regionen des Körpers. Mit einer sorgfältigen Pflege kann die Austrocknung der Mundschleimhaut gut gelindert werden. Dabei ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Patienten und Pflegekraft oder Angehörigen besonders wichtig.

Bei erhöhtem Flüssigkeitsverlust oder krankheitsbedingter Austrocknung nimmt das Durstgefühl zu. Die Mundschleimhäute trocknen aus, es bilden sich Beläge, sprechen und schlucken wird schwierig. Der aufkommende Durst kann dabei nicht durch Infusionen gestillt werden. Wichtig ist es, die Situation individuell zu betrachten, persönliche Geschmacksvorlieben und Abneigungen zu beachten und auf Wünsche eingehen.

"Menschen sterben nicht, weil sie nicht essen, sondern sie essen nicht, weil sie sterben."

Ciceley Saunders

Die Lippen mit dem jeweiligen Lieblingsgeschmack zu befeuchten oder betupfen, kann für Menschen mit einer zunehmend schlechter werdenden Wahrnehmung sehr angenehm sein. Man kann dazu beispielsweise eingefrorene Fruchtstückchen, Brausepulver, Wasser oder Speiseeis benutzen. Den Lieblingstee oder -saft kann man in kleine Sprühflaschen füllen. „Natürlich gibt es auch Patienten, die Lust auf Wein oder Bier haben“, sagt Ludewig. „Es geht darum, dem Menschen die bestmögliche Lebensqualität zu ermöglichen.“ Vor allem für die Pflegekräfte erfordert das ein hohes Maß an Sensibilität und Behutsamkeit. Auch den Angehörigen gegenüber.

Diesen Wunsch zu respektieren fällt schwer. Hilflosigkeit und Unverständnis kommt auf, wenn der Sterbende Nahrung ablehnt. Essen liefert Energie, ohne Energie stirbt der Mensch. Doch ist es in dieser Phase des Sterbeprozesses ganz natürlich, nichts mehr zu essen. Es würde den Körper nur unnötig belasten.

Es dämmert bereits, als der schwarze Leichenwagen vorfährt. Ein Mann steigt aus und öffnet die Türen des Kofferraums. Mit ein paar Handgriffen befördert er den Sarg auf ein Metallgestell und schiebt ihn in die Eingangshalle des Krematoriums Ohlsdorf. Dort stehen bereits mehrere Särge, die von Mitarbeitern in die Kühlung gebracht werden.

Ulrike Arnold, Leiterin des Bestattungsforums Ohlsdorf, öffnet die massive Metalltür zu einem der mehreren Kühlräume. Bei circa vier Grad werden hier die Verstorbenen aufbewahrt. Einfache Särge aus Kiefern- oder Fichtenholz werden neben hochwertige Modelle aus Mahagoni oder Eichenholz mit aufwendigen Verzierungen gestellt. In jedem dieser Kisten liegt ein Leichnam. Jeweils zwei Zettel kleben an den Särgen: Einer mit dem Namen des Verstorbenen und der andere mit der Einäscherungsnummer. „Dort wird vermerkt, ob der Rechtsmediziner den Leichnam bereits begutachtet und den Todesvorfall dokumentiert hat“, sagt Ulrike Arnold.

Gang eines Krematoriums

Ein langer Gang führt entlang an weiteren Kühlanlagen. Die Schiebetüren zu beiden Seiten bestehen aus gewaltigem Metall und an der Decke leuchten grelle Leuchtstoffröhren. Entgegen der kühlen Atmosphäre ist die Stimmung unter den Mitarbeitern entspannt. Einer von ihnen pfeift ein Lied. Unmittelbar vor dem Ende des Gangs erstreckt sich auf der rechten Seite ein weiterer Flur, der zum Ofen des Krematoriums führt. Die großen Metallrohre an der Decke glänzen und werfen Schatten auf den Fußboden. Einzig die dunkelrote Farbe des Ofenschachtes wirkt warm und freundlich, wie eine Empfangshalle für den letzten Weg der Toten.

Vor dem Ofen steht ein Holzsarg. „Manche Angehörige möchten kurz vor der Einäscherung nochmal in den Sarg schauen, um sicherzugehen, dass die Person auch wirklich darin liegt. Das ist auch eine schöne Möglichkeit zur direkten Verabschiedung“, sagt Ulrike Arnold. Die nächste Einäscherung findet in 20 Minuten statt. „Das ist dann die Letzte für heute“, sagt der technische Leiter und schiebt einen leeren Wagen fort.

Bestatter aus Leidenschaft

Sven Müller ist einer von ihnen. Er ist Bestattungsfachkraft im Haus der Zeit in Ahrensburg. „Als Bestatter muss man verstehen, dass man Leute vor sich hat, die sich in einer Extremsituation befinden“, sagt er. „Gerade dann ist es wichtig, die Menschen gut zu begleiten.“ Seine Augen blicken geradeaus, als ob er in der Ferne etwas sucht. Die Hände hat er locker in die Taschen seiner dunklen Jeans gesteckt.

Im Gegensatz zu seiner schwarzen Arbeitskleidung ist das Haus der Zeit hell und modern eingerichtet. Durch den Innenhof, vorbei an Blumen, Sträuchern und einem kleinen Teich, gelangt man in das Bestattungshaus. Eine Fensterfront gewährt den Blick nach draußen. „Die Menschen sollen uns mit keinem noch traurigeren Gefühl verlassen“, sagt Sven Müller und lächelt. Ein Bestatter muss gegenüber seinen Kunden offen sein, er kommt ihnen sehr nahe – und trotzdem ist seine Arbeit eine Dienstleistung und ein Geschäft. Die Kosten für eine Bestattung variieren zwischen 3.500 und 10.000 Euro. Das hängt davon ab, welche Leistungen inbegriffen sind, etwa der Blumenschmuck oder der Grabstein.

Trauerhalle
Kreuz an Wand

Geburtendefizite in Deutschland

Tatsächlich sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden. Im Jahr 1990 gab es kaum Unterschiede. 26 Jahre später ist das Geburtendefizit weitaus größer (siehe Grafik). Der Bedarf an Bestattungen steigt. Deshalb sind auch Discount-Anbieter in die Branche eingestiegen und werben mit günstigen Angeboten. Särge aus Polen werden importiert oder Kaffeefahrten in die Niederlande angeboten, wo die Gesetze nicht so streng reguliert werden. Doch Sven Müller glaubt nicht, dass sich der Trend hin zu einer solchen Bestattungskultur entwickeln wird: „Der Großteil der Menschen will eine würdevolle Bestattung.“

Diagramm Geburtendefizit
Es sterben mehr Menschen, als geboren werden (Quelle:destatis, 2016)

Sven Müller hat Hochachtung vor der eigenen Tätigkeit. „Für mich ist Bestatter sein, ein sehr sozialer Beruf. Es ist die Arbeit mit den Angehörigen und nicht mit den Toten“, sagt der 25-Jährige. Das Abschied nehmen und der Umgang mit dem Tod gehören dazu. Im Haus der Zeit stehen hierfür mehrere Abschiedsräume zur Verfügung. Auch sie werden kühl gehalten, sind aber in warmen Erdtönen gestrichen. „Im Keller befindet sich ein Aufzug, mit dem der Sarg direkt aus der Kühlung hochgefahren wird“, sagt Sven Müller.

Im Keller ist der Arbeitsplatz des Thanatopraktikers. Er konzentriert sich ausschließlich auf die Leiche. Das Prozedere beginnt mit dem Waschen des toten Körpers und endet mit der Einbalsamierung und auch der ästhetischen Wiederherstellung von Unfallopfern. Hier unten spürt man nichts mehr von derfreundlichen Atmosphäre des Bestattungshauses. Auf einem Metalltisch liegen, fein säuberlich sortiert, die notwendigen Arbeitswerkzeuge. Die Trauernden sehen diesen Ort nicht – er wird von ihrer Realität ferngehalten.

„Unsere Arbeit ist wie eine Schatzsuche“

Willkommen sind sie indes in der Traueragentur „„Vergiss Mein Nie“ von Madita van Hülsen und Annemone Zeim. Seit 2013 sind die beiden ausgebildeten Trauerbegleiterinnen in ihrem kleinen Laden in der Eimsbütteler Chaussee 71 zu finden. „Wir haben eine große Verantwortung, egal wie spielerisch wir mit dem Thema umgehen. Es ist eine kreative Arbeit und damit auch ein guter Zugang zu der Gefühlswelt der Trauernden“, sagt Annemone Zeim. „Das ist wie eine Schatzsuche: wo ist noch Energie in diesem Menschen, was gibt ihm Kraft und wovon können wir mehr machen.“

Madita van Hülsen und Annemone Zeim

Zusammen mit Madita van Hülsen sitzt sie an einem großen Tisch, der in der Mitte des Büros steht. Es erinnert an ein Künstleratelier, überall liegen Bastelutensilien. An den Wänden hängen Bilderrahmen, ein Whiteboard und Kisten, in Kuscheltiere, Karten und Bücher liegen. Sogenannte Erinnerungsstücke, wie die beiden Frauen sie nennen.

„Wir ändern die Perspektive auf bestehende Sachen. Wir drehen Dinge um und benutzen sie anders. Das ist enorm Kraft schenkend für Trauernde“, sagt Annemone Zeim. Madita van Hülsen deutet auf den türkisfarbenen Tisch. „Das war beispielsweise mal eine Stalltür. Wir haben sie als Tisch umfunktioniert“, sagt sie und strahlt.

Traueragentur "Vergiss mein nie"

Doch nicht nur in der Trauer sind Annemone Zeim und Madita van Hülsen für die Menschen Wegbegleiter. Beide kommen aus der Kommunikationsbranche, bieten Workshops und Weiterbildungen an. Auf ihre Erinnerungsstücke sind sie ganz besonders stolz. „Allein das Schleifchen an der Verpackung oder eine handgeschriebene Karte haben eine ganz große Wirkung“, sagt Annemone Zeim. All diese Dinge werden in liebevoller Handarbeit in dem Hinterzimmer der Traueragentur hergestellt. Schwere Kartons stapeln sich bis unter die Decke. Und vielleicht gerade weil es hier so voll ist, wirkt dieser Ort so gemütlich und lebendig.

„Trauerbegleitung ist immer im Hier und Jetzt.“

Der Anfang von „Vergiss Mein Nie“ war nicht leicht. Themen wie Tod und Trauer sind nach wie vor in Deutschland tabuisiert. „Das ist unser Ding“, sagt Annemone Zeim. „Wir wollten die Trauerarbeit aus dieser Ecke herausholen und darüber reden.“ Als Dienstleister fungieren die beiden dann, wenn sie Menschen beraten, Workshops leiten oder Erinnerungsstücke herstellen. „Das ist nicht nur Kaffeekränzchen, sondern richtige Arbeit“, sagt Annemone Zeim.

Doch für viele Menschen ist dieser soziale Beruf immer noch fremd. Seit zehn Jahren kämpft der Verband der deutschen Trauerbegleiterdafür, dass der Beruf von den Krankenkassen anerkannt wird. „Langsam findet ein Umdenken statt, aber für viele ist es neu, dass ein Trauerbegleiter bezahlt wird“, sagt Madita van Hülsen. „Dabei ist es genauso wichtig, wie der Beruf des Psychologen.“

Karte mit dem Erinnerungsglas

Mit „Vergiss Mein Nie“ wollen die jungen Frauen gesellschaftlich etwas verändern: „Eigentlich wären wir beide froh, wenn man keine Trauerbegleiter mehr brauchen würde. Wenn Freunde wieder angstfrei füreinander da sein könnten, ohne den anderen zu beurteilen, wie er sich in der Trauer gerade verhält.“ Bis es aber soweit ist, müssen noch viele Tabus gebrochen und Vorurteile beseitigt werden. „Vielleicht braucht man uns nur ein-, zweimal im Leben, aber dann müssen wir da sein.“

Bestatter und Trauerbegleiter werden täglich auf unterschiedliche Weise mit dem Tod konfrontiert. Die menschliche Sterblichkeit ist für sie real, während sie in unserer Gesellschaft oft ausgeblendet wird. Um den Tod wieder als Teil des Lebens anzuerkennen, braucht es einen anderen Umgang mit dem Thema – und Menschen, die uns begleiten und unterstützen, wenn es sonst niemand kann.


Die Reportage wurde im Februar 2018 auf Fink.Hamburg veröffentlicht. Mittlerweile ist Annemone Zeim für die Traueragentur „Vergiss-mein-nie“ als alleinige Inhaberin verantwortlich.

Dabei zeigt sich der Schauspieler von einer ganz nachdenklichen Seite: Er sprach über seine eigene Bestattung, warum er Hospizarbeit wichtig findet und was das alles mit seinem Film „Der Mann aus dem Eis“ zu tun hat.

Wikimedia Commons | Jürgen Vogel (Berlinale 2012) von Siebbi

Vorsichtig klopfe ich an eine Tür der Palliativstation und trete ein. Ich weiß bereits, dass der junge Mann in dem Zimmer erst Mitte 20 und damit etwas älter ist als ich. Seine Diagnose: ein äußerst seltener Hirntumor. In der Mitte des Zimmers steht ein Mann mit perfekt sitzender Jeans, glatt gebügeltem Hemd und grau meliertem Haar. Er wirkt verloren und blickt mich fragend an. Wahrscheinlich der Vater, denke ich. Sein Sohn liegt im Bett. Die Decke so weit hochgezogen, dass nur der Kopf herausschaut.

„Möchtet ihr einen Eiskaffee?“, frage ich mit einem Lächeln. Ich verschränke meine Arme hinterm Rücken, nehme mich selbst in dem Moment zurück. Sorgenvoll blickt der Vater zu seinem Sohn. „Die Medikation wurde gerade neu eingestellt, er darf noch nichts essen. Aber ich hätte sehr gerne einen“, antwortet er. Die Erleichterung, eine einfache Entscheidung treffen zu können, ist ihm anzusehen. Etwas Ablenkung kann dem Leben Normalität zurückgeben.

Gespräche, Therapien und Entspannungsrituale

„Momentan sind viele junge Patienten da“, sagt Barbara Heil, Sozialpädagogin auf der Palliativstation. Im Oktober 2009 wurde das Interdisziplinäre Zentrum Palliativmedizin in Würzburg eröffnet und momentan stehen zehn Einzelzimmer zur Verfügung.  Ein Team aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Physiotherapeuten und ehrenamtlichen Helfern arbeitet eng zusammen. Bevor ich nach Hamburg zog, war ich ein Teil davon.

Die ganzheitliche Sicht auf den Menschen ist bei der Arbeit entscheidend, um auf individuelle Wünsche der Schwerkranken eingehen zu können. „Auch Selbsthilfe- und Entspannungsgruppen für Krebspatienten und Angehörige werden wöchentlich angeboten, um ein vielfältiges Angebot zu schaffen“, so Heil.

Das deutsche Wort Palliativmedizin ist für das Angebot eigentlich nicht aussagekräftig genug. In englischsprachigen Ländern spricht man von Palliative Care und schließt so die Fürsorge und Betreuung des Sterbenden und seiner Angehörigen mit ein. Der Begriff Palliativmedizin kommt aus dem Lateinischen von „palliare“ und bedeutet: mit einem Mantel umhüllen. Die Weltgesundheitsorganisation definiert darunter ein „ganzheitliches Betreuungskonzept zur Begleitung von Sterbenden“.

Hauptaufgabe der Palliativmedizin ist es, die Lebensqualität des sterbenden Menschen zu bewahren und zu verbessern. Im Endstadium einer tödlichen Erkrankung geht es nicht mehr um eine heilungsorientierte Behandlung oder lebensverlängernde Maßnahmen, sondern darum Schmerzen zu lindern, Gespräche zu führen, und Therapien oder Entspannungsrituale anzubieten. Auch Angehörige, Freunde und Bekannte werden mit ihren Bedürfnissen und Sorgen in die Behandlung eingebunden.

Im Gegensatz zum Hospiz sind Palliativstationen Teil eines Krankenhauses, deshalb arbeiten hier auch Ärzte. Sie können die Patienten nach Hause oder in eine andere stationäre Einrichtung entlassen. Aber auch hier sterben die Menschen. Dann wird eine Kerze direkt vor die Zimmertür gestellt.

"Die Reise meines Lebens"

In dem nächsten Zimmer liegt ein älterer Herr, ebenfalls mit einem Gehirntumor. Verbrauchte Luft schlägt mir entgegen. An seinem Schrank klebt ein Zettel: Der Patient hat strenge Bettruhe. Er wirkt erschöpft, tut sich schwer beim Sprechen. Den Eistee, den ich ihm reiche, trinkt er gierig und sinkt danach kraftlos zurück in seine Kissen. Auch das gehört dazu, den Menschen eine Freude zu bereiten oder einfach nur da zu sein. Bis zum Ende als lebender Mensch behandelt zu werden und nicht einsam zu sterben, ist auch Lebensqualität.

Nebenan liegt das Zimmer einer zerbrechlich wirkenden Frau. Sie ist um die 50 Jahre alt. Die Haut ist blass und ihre Augen liegen tief in den Höhlen. Haare hat sie keine mehr. Ein leichter Flaum auf dem Kopf ist alles, was nach der Chemotherapie geblieben ist. Die Eiswürfel klirren, als ich ihr den Kräutereistee reiche. Mit einem Strahlen greift sie mit ihren dünnen Armen danach. „Wenn ich wieder zu Kräften komme, möchte ich eine Kreuzfahrt machen. Am liebsten nach Bali“, erzählt sie. „Das wird die Reise meines Lebens.“

„Das Sterben ist abgekapselt vom Leben“. Wie stark ist diese Aussage noch in der Gesellschaft verankert?

Das Ziel der Hospizbewegung war und ist es, dass Menschen dort sterben, wo sie möchten. Nach wie vor gehen Wunsch und Realität auseinander – viele Menschen sterben in Krankenhäusern. Es ist sicherlich so, dass sich in den letzten 20 Jahren viel getan hat. Stationäre Hospize, ambulante Hospizdienste und Palliativstationen sind entstanden und bestehende Strukturen haben sich weiterentwickelt.

In der Bevölkerung ist vielen Menschen der Begriff „Hospiz“ bekannt, wird häufig jedoch ausschließlich mit einer stationären Einrichtung verbunden. Auch im häuslichen Bereich ist sehr vieles möglich, durch spezielle Pflegedienste, Ärzte und ambulante Hospizdienste, wenn das soziale Umfeld es mittragen kann. Gerade in Hamburg gibt es 50% Singlehaushalte. Es besteht weiterhin ein großer Bedarf, die Bevölkerung zu informieren und zu sensibilisieren.

Wie bist du dazugekommen, dich in der Hospizarbeit zu engagieren?  

Eigentlich war es Zufall. Ich habe medizinische Fachangestellte gelernt und 20 Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Zehn Jahre davon in einer großen Allgemeinarztpraxis, in der wir viele schwerkranke und sterbenskranke Menschen betreut haben. In der damaligen Zeit sind wir immer wieder an Grenzen gestoßen, wenn im häuslichen Bereich die ärztliche Versorgung und die Unterstützung nicht mehr möglich waren. Es gab damals in der Umgebung keine stationären Hospize.

"Ich finde die Begegnung von Mensch zu Mensch einfach wichtig."

Astrid Karahan

Mein damaliger Chef plante ein Hospiz mit zwölf Betten aufzubauen und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, dabei mitzuwirken und das Haus mit zu leiten. Ich fand in der Praxis meistens einen guten Kontakt zu den Erkrankten und nahm die Herausforderung an. Das war 1997, das Hospiz eröffnete 1998.

Wie wurde das Hospiz aufgenommen? Gab es Bedarf?  

Dass ein Bedarf bestand, wussten wir aus den Erfahrungen in der Praxis. Wir mussten natürlich auch erstmal schauen, ob das Hospiz von der Bevölkerung, aber auch von den niedergelassenen Medizinern und den Krankenhäusern angenommen wird. Dazu war natürlich intensive Öffentlichkeitsarbeit erforderlich. Nach sechs Monaten waren wir bereits voll belegt. Es war von Anfang an eine unheimliche Befriedigung und das ist es heute noch: Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten und vor allem auch die An- und Zugehörigen zu unterstützen

Welche Aufgaben hast du im Hospiz übernommen, als es eröffnet wurde?  

Im Hospiz war ich die Einrichtungsleitung. Ich war für die Aufnahme der Gäste, Kontakt und Abrechnung mit den Leistungsträgern, Öffentlichkeitsarbeit und die Angehörigenbegleitung, zuständig aber auch für den Kontakt mit den Gästen vor und während des Aufenthaltes. Nach zwei Jahren habe ich dann angefangen, eine Gruppe von Ehrenamtlichen aufzubauen, denn dieses Angebot gab es noch nicht. Die Begegnung von Mensch zu Mensch hat eine andere Ebene und ist für die Erkrankten und die Angehörigen sehr wertvoll.

Worin unterscheidet sich das stationäre Hospiz vom Krankenhaus?  

Die Zielsetzung ist eine ganz andere. Im Krankenhaus stehen zunächst die Diagnostik und dann die Therapien, die auf Heilung ausgerichtet sind, im Vordergrund.

"In einem Hospiz spricht man von Gästen und nicht von Patienten."

Astrid Karahan

Im Hospiz geht es um die Begleitung des Menschen und seiner Angehörigen am Lebensende. Therapien dienen der Lebensqualität, wie z. B. Schmerztherapie und Behandlung von belastenden Symptomen. Der Tag wird speziell auf die Wünsche des Erkrankten ausgerichtet: Möchte jemand geweckt werden und wann möchte er frühstücken? Im Mittelpunkt steht immer der Erkrankte mit seinen Angehörigen.

Würdest du sagen, dass du das Leben durch deine Arbeit mehr zu schätzen gelernt hast?  

Jeder weiß eigentlich, dass es zwei Fixpunkte im Leben gibt: Geburt und Tod. Und es gelingt jedem Menschen, das zwischenzeitlich auszublenden. Natürlich ist auch für mich der Tod nicht jeden Tag präsent und das ist auch gut so. Aber über viele Dinge habe ich gelernt, mir Gedanken zu machen: Nach Kraftquellen zu suchen und das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen.

Wie hat dein Umfeld auf deine Arbeit reagiert?  

Natürlich hatte und hat diese Arbeit Einfluss auf die Familie. Meine Großmutter war damals sehr irritiert, als ich ins Hospiz gewechselt bin. Sie konnte gar nicht begreifen, wie ich meine damalige Arbeit aufgeben und in so ein „Sterbehaus“ gehen konnte. Das Thema war zu der Zeit deutlich weniger bekannt als heute. Im Nachhinein war sie aber von der Hospizarbeit total begeistert. Meine Töchter sind mit dem Thema Sterben und Tod aufgewachsen und gehen dadurch sehr offen damit um.

"Viel geht über das Bauchgefühl, wer z.B. als Begleitung."

Astrid Karahan
Du bist im Hospiz-Zentrum Bruder Gerhard stellvertretende Leitung und koordinierst die Ehrenamtlichen. Nach welchen Kriterien entscheidest du, welcher Ehrenamtliche welchen Sterbenden begleitet?

Zum einen haben wir im Team den großen Vorteil, die Ehrenamtlichen selbst zu schulen und gut kennenzulernen. Der erste Kontakt zu den Erkrankten wird von den Hauptamtlichen gemacht, um zu schauen, was der betroffene Mensch und sein soziales Umfeld benötigen. Oft merke ich schon während des Gesprächs, wer von den Ehrenamtlichen passen könnte. Manchmal braucht es einen Schmerztherapeuten, einen Hausarzt, oder auch Pflegedienst, aber manchmal braucht es einen Ehrenamtlichen, der ein Gespür für die jeweilige Situation mitbringt: Dann wird ein Gespräch gewünscht oder einfach Zeit, die mit dem Erkrankten verbracht wird, oder auch zur Entlastung der Angehörigen.

Was macht für dich deine Arbeit so bedeutsam?  

Das Leben ist endlich und das Sterben und der Tod sind nicht immer leicht. Aber es ist toll, wenn ich durch meine Beratung und Organisation von Unterstützung einiges leichter machen oder ermöglichen kann.


Astrid Karahan arbeitet seit fast 20 Jahren in der Hospizarbeit. Die medizinische und palliative Fachkraft koordiniert im Malteser Hospiz-Zentrum Bruder Gerhard in Volksdorf 150 ehrenamtliche Mitarbeiter.

Täglich pendelt sie zwischen Lüneburg und Volksdorf zur Arbeit. Den weiten Weg nutzt sie am liebsten zum Lesen.

In dem Podcast von NDR Info „Im Anfang war das Wort. Die Bibel“ spricht sie über die Bedeutung der Emmausgeschichte in der Ausbildung zur Sterbebegleitung.

Du hast drei Jahre an dem Comic „Sterben ist echt das Letzte“ gearbeitet. Welche Wirkung hatte das auf dich?

Es hat für mich etwas Therapeutisches. Ich habe große Angst vor dem Tod, vor Leichen oder davor, dass Freunde oder Bekannte sterben. Diese ganzen Ängste sind durch die Arbeit an meinem Comic besser geworden, weil ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe.

Woher kommt dein Interesse, den Tod und das Sterben in deiner Bachelorarbeit aufzugreifen?  

Es gibt ein Zitat von Andy Warhol, dass alles was er macht, mit dem Tod zu tun hat. Mir ist  aufgefallen, dass es bei mir auch so ist. In jedem Buch und in jeder Geschichte kommt der Tod vor. Das ist eine Art Obsession. Erst dachte ich, ich wäre morbide, aber das stimmt nicht. Es ist einfach interessant. Und bei so einem dicken Buch brauche ich ein Thema, das mich wirklich interessiert, sonst mache ich das nicht.

Aber ich glaube, ich habe mich schon immer zu solchen Themen hingezogen gefühlt. Auch als Sozialpädagogin habe ich keine fröhliche Arbeit gemacht. Ich habe in Hamburg mit Strichern am Hauptbahnhof gearbeitet. Für junge Männer in St. Georg, die sich prostituieren. Auch da gab es schon eine gewisse Richtung für mich.

Du hast vorher Sozialpädagogik studiert. Wie bist du zum Zeichnen und Illustrieren gekommen?  

Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Mit Kunst oder Zeichnungen sein Geld zu verdienen, war nie ein Thema bei uns. Deswegen habe ich es auch nie als Möglichkeit gesehen. Ich bin aber während meiner Arbeit als Sozialpädagogin nach Rumänien gegangen und habe dort gearbeitet. Am Anfang war ich sehr viel alleine unterwegs. Da habe ich wieder angefangen, zu zeichnen. Das war mein Rückzugsort. Daheim in Deutschland haben dann immer mehr Leute zu mir gesagt: „Mach das in eine Mappe und gib das ab!“.

Die Eignungsprüfung habe ich bestanden, obwohl ich nur meinen Wasserfarbkasten dabei hatte. Ich habe das Studium dann angefangen, bin da irgendwie reingerutscht. Und dann war das viel besser als alles, was ich vorher gemacht habe.

Oft schreiben Autoren über sich, benutzen aber eine fiktive Person. Du bist in all deinen Werken Protagonistin. Warum?

Ich erfinde oft Geschichten, die ich gar nicht erlebt habe und benutze mich einfach als Figur. Ich würde das erweiterte Autobiografie nennen. Das fällt mir leichter. Ich arbeite viel mit Fotos, die ich von mir selber mache und zeichne. Es ist ein leichter Zugang zu mir. So kann ich besser erzählen, weil ich mich selbst am besten kenne.

Wie ist die Resonanz auf deinen Comic?  

Leute sprechen mich an, weil sie sich in manchen Geschichten wiederfinden und sich freuen, dass jemand über den Tod redet. Ganz viele fangen auch mit mir an, über den Tod zu reden, obwohl sie mich gar nicht kennen. Ich glaube, das liegt daran, dass mein Buch nicht nur mystifiziert und melancholisch ist, sondern auch witzig und ehrlich. Dass man auch sagt: „Ich hab Schiss davor“, und damit umgeht. Deswegen ist die Resonanz auch durchweg positiv.

Möchtest du mit deiner Arbeit Tabuthemen in der Gesellschaft ansprechen?  

Das weiß ich nicht. Ich mache das, was mich interessiert. Am liebsten schaue ich düstere Filme. Und wenn ich zeichne, schaue ich die ganze Zeit Dokumentationen über Serienmörder. Völlig Banane. Aber tatsächlich entspannt mich das. Ich neige eher zu brutalen und düsteren Themen, die fesseln mich mehr. Aber ich bin überhaupt nicht brutal. Und das hat auch gar nichts damit zu tun, dass man morbide ist. Für mich ist es einfach spannender, gruselige Sachen anzuschauen und zu zeichnen.

Warum ziehst du Bücher einem digitalen Medium vor?  

Bücher schaffen eine andere Atmosphäre als etwas Digitales. Es ist mir schon wichtig, dass es etwas zum Anfassen und Mitnehmen ist. Ich zeichne alles von Hand und färbe es dann mit Photoshop ein. Da bin ich vielleicht ein bisschen oldschool, aber ich liebe das Zeichnen. Es tut mir einfach gut.

Du hast dich über die dreijährige Arbeit an dem Buch ständig mit Sterben und Tod auseinandergesetzt. Wie möchtest du denn sterben und bestattet werden?

Eigentlich will ich gar nicht sterben, das fände ich am tollsten. Aber das geht halt nicht. Deswegen habe ich mich an den Gedanken gewöhnt. Am liebsten würde ich ganz alt einschlafen. Ich finde alt werden geil!

Ich will nicht verbrannt werden. Das finde ich brutal. Der Körper ist ja organisch, den legt man hin und dann verschwindet er von selbst. Deswegen würde ich am liebsten in ein Tuch gewickelt und in die Erde gelassen werden. Das gibt ja auch den ganzen Pflanzen und der Erde viel zurück. Das finde ich viel logischer. Außerdem möchte ich einen Ort haben, wo meine Freunde und Verwandte hingehen können. Ich finde Friedhofskultur sehr schön. Viele schreckt das ab, aber ich gehe total gerne auf Friedhöfe.

Und die Bestattungsfeier sollen die Menschen planen, wie es für sie gut ist. Ich finde es ganz befremdlich, wenn von den Verstorbenen die Trauerfeier organisiert wird, aber die Trauergemeinde damit nichts anfangen kann. Das will ich niemandem aufzwingen.

Wie gehen die Leute damit um, dass du so offen über den Tod zeichnest und sprichst?

Ich habe den Eindruck, dass die Leute mir krasse Geheimnisse verraten. Die sind erleichtert, dass sie jemandem erzählen können, dass sie Angst davor haben zu sterben oder wie sie sich den Tod vorstellen. Der Bedarf, darüber zu reden, ist auf jeden Fall da.

Außerdem entwerfe ich auch Beileidskarten. Da steht dann nicht „Herzliches Beileid“, sondern ehrliche Dinge wie „Ich habe gerade keine Worte dafür. Es tut mir leid.“ Da kann ich dann auch als Zeichnerin oder Designerin etwas verändern, denn solche Karten gibt es noch gar nicht. Es muss doch nicht auf jeder Karte eine Taube oder ein fallendes Blatt sein. Das sind doch einfach Klischees.

Was ist denn dein nächstes großes Projekt?  

Das ist noch nicht ganz klar, aber es geht um das Thema Arbeit. Wie man Geld verdient und die Arbeitsstrukturen in der Welt funktionieren. Gleichzeitig aber auch welchen Zwängen man ausgesetzt ist.


Eva Müller kommt aus dem Saarland. An der FH Koblenz hat sie Sozialarbeit studiert und nach ihrem Diplom in Hamburg als Sozialpädagogin gearbeitet. Ihren zweiten Bachelor in Illustration an der HAW hat sie 2017 abgeschlossen. Seitdem ist sie selbstständige Illustratorin und leitet Comic- und Zeichenworkshops. „Sterben ist echt das Letzte“ ist ihr Comic-Debüt.

Der Comic „Sterben ist echt das Letzte“ ist im Schwarzer Turm Verlag erschienen und für 12 Euro erhältlich.

Eigentlich ein Freitag wie jeder andere. Menschen hetzen mit ausdruckslosen Gesichtern und automatisierten Bewegungen auf ihren Feierabend zu. Mein Weg führt mich daran vorbei, mit einem Strauß gelber Blumen in der Hand.

Ich knipse die überstehenden Blätter ab und stelle die Chrysanthemen in die bereitgestellten Vasen. Es ist bereits Nachmittag und still auf dem Flur der Palliativstation. Auf jeden Nachttisch der insgesamt zehn Patienten stelle ich einen Blumenstrauß. In einem der Zimmer sind die Balkontüren geöffnet. Frische Luft strömt hinein und lässt die Vorhänge wehen. Vor mir liegt ein junger Mann. Die Bettdecke ist locker über seinen Beinen ausgebreitet, er trägt ein T-Shirt. Sein Gesicht wirkt eingefallen – im Gegensatz zu seinen wachen, braunen Augen, mit denen er mich erstaunt anblickt. „Ich habe Ihnen Blumen mitgebracht“, sage ich und breche die Stille.

"Ich dachte, jetzt wird alles gut. Dann kam die Diagnose."

Amir (Name geändert)

Amir* (Name geändert) kommt aus dem Iran und ist vor drei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet. Vor einem halben Jahr begannen die Schmerzen in der Hüfte, die mit ein paar Stunden Physiotherapie behandelt wurden. Bei einer Routineuntersuchung entdeckten die Ärzte dann den Knochentumor. Eine Operation war nicht möglich, der Tumor war bereits zu groß. Auch nach einer Chemotherapie wuchs der Krebs weiter.

„Ich dachte ich komme nach Deutschland und alles wird gut. Dann kam die Diagnose“, sagt Amir. Tränen schimmern in seinen Augen, er dreht seinen Kopf zur offenen Balkontür. Doch er gab nicht auf, kontaktierte deutschlandweit verschiedene Ärzte. Einer von ihnen entschied sich für einen chirurgischen Eingriff. Der Tumor konnte größtenteils entfernt werden, doch während der Operation wurde ein Nerv verletzt. Seitdem kann Amir sein linkes Bein nicht mehr bewegen.

Sein Blick wandert zu den Blumen. Prachtvoll, in herrlichem Gelb erstrahlen sie. „Im Iran ist Blau die Farbe der Trauer. Gelbe Blumen werden nur auf Friedhöfen verteilt und auf die Gräber gelegt“, sagt Amir und fügt grinsend hinzu: „Aber wir sind ja in Deutschland und gelb ist sogar meine Lieblingsfarbe“. Ich sitze lange an seiner Seite. Wir sprechen miteinander, schweigen mindestens genauso lange. In den Gesprächspausen nehme ich das monotone Ticken der Uhr wahr. Die Momente in denen wir nicht reden, sind die Intensivsten – und sie wirken immer noch nach.

„Mein Deutsch ist wie das von einem Kind, mit ganz einfachen Wörtern“, sagt Amir irgendwann und zeigt, wie verzweifelt er ist. Einerseits wegen seiner zerstörten Träume: Im Iran studierte er Geografie und wollte in Deutschland seine Dissertation über den Klimawandel beenden. Andererseits, weil er eine Frau und Kinder hat, die ihn jeden Tag besuchen und für die er bald nicht mehr da sein kann. Die beiden Jungs sind erst 3 Jahre und 8 Monate alt.

"Bei jeder Begegnung können wir mit dem Herzen lernen"

Amir (Name geändert)

Unser Gespräch wird von abrupten Themenwechseln begleitet: „Das ist gut was du machst“, sagt Amir, als ich ihm erkläre, warum ich hier regelmäßig zu Besuch bin. Er scheint unzufrieden mit seiner Wortwahl und greift nach seinem Tablet. „Respektvoll“ ertönt die Stimme des Übersetzungsprogramms. Er schaut mich an und nickt.

Das Ticken der Uhr höre ich schon längst nicht mehr. Doch irgendwann kommt der Moment, in dem man sich verabschieden muss. Amir hebt seine Hand. Kurz schwebt sie verloren in der Luft und fällt dann wieder kraftlos auf das Bettlaken. Es wirkt wie ein Versuch sich zu verabschieden, die Hand zu geben oder zu umarmen. Doch es fehlt die Energie. Ich traue mich nicht ihn zu umarmen, reagiere intuitiv und verlasse den Raum. Nicht ohne vorher noch ein paar Abschiedsworte zu murmeln.

Ich stehe auf dem Flur der Station und fühle mich schlecht, als hätte ich dem Gespräch keinen passenden Abschluss gegeben. Ich bin gegangen, habe ihn mit seinen Zweifeln und Ängsten allein gelassen. Die Seelsorgerin der Palliativstation kommt auf mich zu und ich erzähle ihr, was ich erlebt habe. „Bei jeder Begegnung können wir mit dem Herzen lernen. Das ist so schön“, sagt sie. „Es ist möglich, nicht zu sprechen und ganz einfach zu kommunizieren, im Schweigen“, meint sie und lächelt. Ich fühle mich wieder ganz leicht.

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